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Hochvolt-Kabelkonfektionierung: Von der Nagelscheren- und Zahnbürstenmethode zur Vollautomatisierung

Technology & Innovation

In den letzten Jahren entwickelte Komax skalierbare Plattformen für die Konfektionierung von Hochvoltleitungen. Diese ermöglichen hoch individualisierbare Produktionsprozesse sowie einen stufenweisen Einstieg bis hin zu einer vollen Automatisierung. Darüber sprachen wir mit Andreas Zelzer Global Technical Manager HV & e-Mobility.

Darum gehts

  • Bei einer Vollautomatisierung mit typischerweise 15 bis 20 Modulen auf einer Lambda 440 entsteht eine fertige Hochvoltleitung in rund 15 Sekunden.

  • Die modularen Lambda-Plattformen für Hochvoltleitungen überzeugen durch ihre Skalierbarkeit sowie die Möglichkeit, Prozesse je nach Anforderungen in beliebiger Reihenfolge zu verketten.

  • Ab jährlich 250'000 Leitungsenden sollte sich ein Kabelkonfektionär mit dem Einstieg in die Automatisierung auseinandersetzen.

Andreas Zelzer: Für die Konfektionierung von Hochvoltleitungen setzt Komax auf seine modularen Lambda-Plattformen. Das sind Sondermaschinen, die sich je nach Kundenanforderungen frei konfigurieren lassen. Welche Strategie steckt dahinter?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste ist die Skalierbarkeit der Produktionskonzepte. Bei gewissen Konzepten war die Menge benötigter Hochvoltleitungen bis jetzt noch zu klein, um gleich in die Vollautomatisierung einzusteigen. Deshalb beginnt ein Kabelkonfektionär oft damit, die heikelsten Prozesse zu automatisieren, zum Beispiel die Schirmbearbeitung. Vor wenigen Jahren sah man noch viel Handarbeit mit Zahnbürste und Nagelschere und kann sich gut vorstellen, wie sich das auf die Qualität der Leitungen auswirkt. Bei manchen Konzepten kann man mit einer kleineren Lambda 240 gut in die Automatisierung einsteigen.

Wie sehen mögliche Wege bis zur vollen Automatisierung aus?

Zur Erreichung eines Produktionsvolumens von rund einer Million Leitungsenden kann man zum Beispiel die Anzahl der Lambda 240 nach und nach erweitern. Will der Kabelkonfektionär weiter in die Zukunft investieren, fasst er für dieselbe Jahresproduktion eine oder mehrere Lambda 440 ins Auge. Selbstverständlich lassen sich die beiden Plattformen mit hybriden Konzepten vielseitig kombinieren. So können zum Beispiel vier Lambda 240 in der Ramp-up-Phase eines neuen Produkts zum Einsatz kommen und eine Lambda 440 übernimmt, sobald der Höhepunkt der Produktion erreicht ist.

Wie viele Prozessmodule benötigt man bis zur Vollautomatisierung?

Man kann zum Beispiel mit zwei Modulen auf einer Lambda 240 beginnen. Im Endausbau sind es vielleicht 15 oder gar 20. Bei Bedarf passen sie alle auf eine einzige Lambda 440 und bei dieser Lösung kann auch der Kabeleinzug automatisch erfolgen. Sehr vorteilhaft ist dabei, dass beide Plattformen mit denselben Prozessmodulen arbeiten, was das Skalieren enorm erleichtert. Vollautomatisiert konfektioniert die Anlage einen Hochvoltleitungssatz alle 15 Sekunden. Auf Kundenwunsch haben wir auch schon Konzepte entwickelt, bei denen es noch viel schneller geht.

Welches sind die Vorteile einer grösseren Plattform gegenüber einer kleineren?

Vor allem der geringere Personalaufwand. Aber die stärkere Verkettung von Prozessen erhöht auch die Qualität sowie die immer wichtig werdende Rückverfolgbarkeit der bearbeiteten Leitungssätze.

Gibt es weitere Gründe für dieses hoch modulare Konzept?

Ja, die Vielfalt der Komponenten im Hochvoltbereich. Hier fehlt die Standardisierung noch weitgehend. Jeder Hersteller entwickelt seine eigenen Stecksysteme, die für die E-Mobilität je nach Einsatzort verschiedenste Anforderungen erfüllen müssen: Sicherheit bei hohen Stromstärken und Spannungen, hoher Temperaturbereich, minimaler Bauraum, Resistenz gegenüber Vibrationen, mechanische und Medienbelastung. Jedes dieser Stecksysteme hat seine eigenen Herausforderungen. Hinzu kommt, dass die Maschinen Hochvoltleitungen ganz unterschiedliche Durchmesser verarbeiten müssen, das können 5 mm sein für ein Nebenaggregat oder 25 mm zur Versorgung eines Antriebsmotors.

Kann man diese Aufgabe nicht einfach mit entsprechenden Modulen erfüllen?

Das reicht nicht. Zwar haben wir in diesem Bereich bereits eine bedeutende Vorleistung für den Markt erbracht. Wir können heute bereits fast 30 Standardmodule anbieten, die sich für bestimmte Anforderungen modifizieren lassen. Die wahre Kunst liegt jedoch in der richtigen Verkettung der Module. Im Niedervoltbereich mit starker Standardisierung ist die Reihenfolge meistens gegeben. Aber die meisten Hochvolt-Komponenten erfordern sehr individuelle Prozesse und dafür eignen sich die flexiblen Lambda-Plattformen optimal.

Wie entstehen diese sehr individualisierten Lösungen?

Das optimale Produktionskonzept entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden. Zuerst definieren wir mehrere Varianten und wählen mit ihm zusammen diejenige, die am besten seine Anforderungen an Automatisierung und Rückverfolgbarkeit erfüllt. Der Kunde soll uns auf dem ganzen Weg als ein starker, verlässlicher Partner sehen, der ihn sicher ans Ziel führt.

Gibt es Komponenten, deren Verarbeitung sich nicht automatisieren lässt?

Das versuchen wir durch enge Kooperationen mit allen Beteiligten zu vermeiden. Mit uns am «runden Tisch» sitzen neben Kabelkonfektionären auch die führenden Komponentenhersteller und OEMs. Diese enge Zusammenarbeit ist sehr wichtig, wenn es darum geht, Komponenten zu entwickeln, die sich automatisiert verarbeiten lassen, oder Leitungen, die am Montageband problemlos einrasten und den sicheren Kontakt gewährleisten. Auch hier haben wir viele Vorinvestitionen erbracht, indem wir uns an Entwicklungen von automatisierungsfreundlichen Stecksystemen beteiligten. Dank all dieser Kooperationen sind wir bestens über Trends und zukünftige Bedürfnisse informiert und können dieses Wissen auch innerhalb der Partnerschaften vermitteln. So profitieren alle davon.

Die Lambda-Plattformen kommen ja auch im Niedervoltbereich zum Einsatz.

Richtig, dort für besonders anspruchsvolle Daten- und Antennenleitungen. Der Aufbau ist oft mit demjenigen von Hochvoltleitungen vergleichbar. Da profitiert ein Bereich von den Erfahrungen des anderen. Das hat besonders auch den Vorteil, dass die Auswahl möglicher Module grösser ist, weil sie nach demselben Konzept arbeiten.

Wann sollte sich ein Kabelkonfektionär mit der Automatisierung im Hochvoltbereich auseinandersetzen?

Der Bedarf für die Elektromobilität steigt rasant. Schon heute haben wir Anfragen für Projekte, die im Zeitraum 2024/25 realisiert werden. Dann ist die Vollautomatisierung definitiv ein Thema. In der Zwischenzeit rate ich Kabelkonfektionären, ab jährlich 250'000 Leitungsenden die Anschaffung einer Lambda 240 ins Auge zu fassen. Je nach Produktionskonzept kann er dann bei rund 1 Million Leitungsenden bereits in die höhere Automatisierung einsteigen.

Wie lange dauert es, bis die fertige Lösung in Betrieb geht?

Das hängt ganz von der Komplexität der Anfrage und vom geforderten Automatisierungsgrad ab. Bis zum endgültigen Angebot kann es leicht zwei bis sechs Monate dauern und sicherheitshalber sollte man mit einem Jahr rechnen, bis die Maschine einsatzbereit ist.

Was kann der Leser tun, wenn er mehr über die Automatisierungsmöglichkeiten in seinem Betrieb erfahren möchte?

Anlaufstelle für Fragen und Beratungen sind die lokalen Vertretungen des Komax Netzwerks. Aber auch ich stehe gerne für Auskünfte bereit und freue mich auf Kontaktaufnahmen.


Kontakt

Andreas ZelzerGlobal Technical Manager HV & e-Mobility

Vor 13 Jahren begann Komax mit der HV-Entwicklung am Standort Grafenau (Deutschland). Andreas Zelzer begann dort 2001 seine Ausbildung als Technischer Zeichner und avancierte als Konstrukteur und anschliessend Projektleiter zu seiner heutigen Position als Global Technical Manager HV & e-Mobility.


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